Als Lehrerin sowohl für Qigong als auch Taiji Quan (alte Schreibweise Tai Chi Chuan) möchte ich dir hier die Unterschiede zwischen diese beiden Disziplinen, die tief in der chinesischen Kultur wurzeln, gegenüberstellen. Sie haben unterschiedliche Ansätze, können aber ähnliche Wirkungen hervorrufen wie z. B. Entspannung, innere Ruhe, mehr Beweglichkeit und eine Harmonisierung von Körper, Seele und Geist. Langsam und ruhig ausgeführt sehen sich Qigong und Taiji Quan auf den ersten Blick sehr ähnlich. Bist du Anfängerin, kann das oft sehr verwirrend sein. Auf einen zweiten und tieferen Blick beziehungsweise mit etwas Erfahrung kannst du aber auch einige Unterschiede entdecken. Der erste große Unterschied lässt sich direkt aus den beiden Begriffen ableiten.
Die Bedeutung der Begriffe: Was steckt dahinter?
- Der Begriff Qigong (sprich „Tschigung“ alte Schreibweise Chi Kung) setzt sich zusammen aus „Qi“, die Lebensenergie und „Gong“, die Arbeit oder das intensive Üben. In den Übungen wird durch bewusste Bewegung, Atmung und Vorstellungskraft beziehungsweise Meditation das Qi im Körper aktiviert und harmonisiert, um tiefes Wohlbefinden zu erlangen, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren und die Gesundheit zu stärken.
- Der Begriff Taiji Quan (alte Schreibweise: Tai Chi Chuan) setzt sich zusammen aus „Taiji“, das wörtlich übersetzt „große Extreme“ bedeutet und für die beiden Pole Yin und Yang steht. „Quan“ heißt „Boxen oder Faust“. Die wörtliche Übersetzung von Taiji Quan bedeutet „großes extremes Boxen“. Eine alte Bezeichnung ist „Schattenboxen“. Tatsächlich ist Taiji Quan eine chinesische Kampfkunst. Um es genauer zu sagen, es ist eine Kampfkunst der inneren Schule. Die Praxis einer Kampfkunst besteht nicht nur darin, die Muskelkraft zu trainieren, um einen Gegner zu besiegen, sondern auch in einer umfassenden Schulung von Körper und Geist. Das heißt die Übungen des Taiji Quan dienen nicht nur der Harmonisierung des Qi und den damit verbundenen Wirkungen sondern sie stellen auch auch Angriffs- und Verteidigungstechniken dar.
Im Begriff Qigong deutet im Vergleich zum Begriff Taiji Quan nichts auf das Kämpfen hin. Außer vielleicht ein „innerer Kampf“, wenn eine Übung nicht so gelingt, wie du es gerne hättest. Aber das ist ein anderes Thema.
Die Übungspraxis
- Qigong: erster Einstieg und Vielfalt
Qigong ist für Anfänger:innen ein idealer erster Schritt. Es gibt eine große Vielzahl an Übungen, die für Interessierte leicht zugänglich, einfach zu erlernen und unkompliziert in den Alltag integriert werden können. Außerdem können sie an unterschiedliche Fitnessniveaus, Handicaps und persönliche Bedürfnisse angepasst werden. Sie helfen beim Stressabbau, zielen auf die tägliche Lebenspflege und die Gesundwerdung von Körper, Seele und Geist ab, unterstützen die persönliche oder spirituelle Entwicklung sowie die Abwehrkräfte.
Es gibt eine große Vielfalt an Übungen. Wikipedia nennt an die 1000 verschiedene Übungen. Sie reichen von sehr einfachen Haltungen zum Beispiel dem „Stehen wie ein Baum“ bis hin zu umfangreichen Bewegungsabläufen mit 8, 12, 24 oder mehr Einzelübungen, die in Sets zusammengefasst werden.
Ein sehr bekanntes und einfaches Übungsset ist das der „Acht Brokatübungen“ (auf chinesisch Ba Duan Jin). Es besteht aus acht einzelnen Übungen, die nach einander harmonisch und fließend ausgeführt werden. Jede einzelne Übung wird öfters wiederholt. Erst dann geht man zur nächsten Übung weiter. Das rhythmische Wiederholen der Übungen mit tiefer Atmung führt weg von zuviel Denken hin zu innerer Ruhe, Entspannung und Ausgeglichenheit. Im folgenden Video zeige ich dir die Acht Brokatübungen (Ba Duan Jin)
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- Taiji Quan: Komplexität
Den Einstieg ins Taiji Quan bildet für Anfänger:innen meist eine Soloform. Eine Soloform besteht aus einer festgelegten Abfolge von Bewegungen, die jeweils fließend ineinander übergehen. Sie wird langsam ausgeführt. Die Arm-Bein-Koordination ist ausgeklügelt und es dauert länger als im Qigong, bis du in einen entspannten Bewegungsfluss eintauchen kannst. Soloformen im Taiji Quan können unterschiedlich lang und sehr komplex sein. Es gibt ganz einfache Grundformen zum Beispiel die Pekingform oder sehr anspruchsvolle Formen wie zum Beispiel die alte Yang-Luchan-Form. Für diese braucht es eine jahrelange konsequente Praxis, um sie zu meistern. Taiji Quan ohne den Kampfkunstaspekt kann als eine Form des Qigong bezeichnet werden. Alle Qigong-Prinzipien, angefangen von der Regulation des Körpers, des Geistes und der Atmung, werden integriert. Taiji Quan als Qigong-Form zu üben, ist weltweit populär. Hier im Video zeige ich dir die Pekingform, eine 24teilige einfache Soloform des Taiji Quan.
Die meditativ fließenden Bewegungen einer Soloform im Taiji Quan sind jedoch nur ein kleiner Teil dieser umfangreichen Kampfkunst. Tatsächlich werden mit zunehmender Übungspraxis auch Übungen mit Partner zum Beispiel Tui Shou („Schiebende Hände“) oder schnelle Formen zum Beispiel San Shou sowie Waffenformen zum Beispiel mit dem Schwert oder dem Stock geübt. Im Tui Shou lernst du die Kraft des Gegners zu spüren, dein eigenes Gleichgewicht zu bewahren und auf Angriffe angemessen zu reagieren. Entdecke hier im Video einen kleinen Einblick in einfache Partnerübungen des Taiji Quan. Die Aufnahme entstand spontan in Malta mit meiner Trainingspartnerin Anna Kaminska, die übrigens auch eine wunderbare TCM-Therapeutin in England ist. Du findest mehr von ihr hier.
Hier bekommst du einen Einblick in die Taiji Quan San Shou Partnerform.
Die verbindenden Prinzipien
Im Qigong werden die Übungen achtsam, langsam und präzise ausgeführt. Diese Langsamkeit hilft, den eigenen Körper bewusster wahrzunehmen und unterstützt das Eintreten in die innere Ruhe. Eine aufrechte, entspannte Körperhaltung und die Entwicklung von kontinuierlich, geschmeidigen und fließenden Bewegungen sind wesentliche Merkmale.
Der harmonische Wechsel von Yin und Yang in seinen vielfältigen Ausprägungen lässt Harmonie und Mitte entstehen. Es gilt in der Bewegung die Balance von Öffnen und Schließen, von Steigen und Sinken, von Spannung und Entspannung zu entwickeln, um das Qi optimal zu regulieren. Die tiefe, ruhige und bewusste Atmung ist ein Schlüsselelement. Sie hilft den Geist zu beruhigen und das reine Qi über die Luft aufzunehmen und zu lenken. So kann der Körper optimal mit Sauerstoff und neuem Leben angereichert werden. All diese Aspekte beeinflussen positiv das Fließen der Lebenskraft Qi. Ein harmonischer Qi-Fluss bedeutet Gesundheit und Wohlbefinden. Eine Stagnation ist der Nährboden für Krankheiten.
Das sind auch wichtige Übungsprinzipien des Taiji Quan. Darüber hinaus steht die Kraftentwicklung aus der Körpermitte sowie die Schulung der Intention für die Kampfanwendungen im Vordergrund. Das heißt, du führst die Bewegungen so aus, als würdest du einen imaginären Gegner angreifen bzw. einen gegnerischen Angriff abwehren.
In dieser Grafik siehst du die wesentlichen Unterschiede:
Die Synergie von Qigong und Taiji Quan
Taiji Quan ist auch Qigong, aber Qigong ist nicht Taiji Quan. Im Kern sind beide miteinander verbunden und ergänzen beziehungsweise bereichern sich oft in der Praxis. Qigong dient dem Taiji Quan als Fundament für die Arbeit mit dem Qi. Taiji bereichert Qigong mit der gelebten Philosophie von Yin und Yang. In meinen Qigong-Kursen und Workshops lasse ich deshalb auch immer die Taiji-Prinzipien einfließen. Beide Disziplinen streben nach einer ganzheitlichen Harmonisierung des Qi, der Verbesserung der Gesundheit und der Förderung von tiefem Wohlbefinden. Taiji Quan hat darüber hinaus den Kampfkunstaspekt und hilft dabei die Kampfkraft zu stärken bzw. eine gute Abgrenzung zu entwickeln. Qigong und Taiji Quan können sowohl einzeln als auch gemeinsam praktiziert werden. Letztendlich ist es eine Frage der Motivation sowie der Ressourcen und der Zeit die du für das Lernen aufbringen kannst.
Aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung sowohl als Qigong als auch als Taiji-Lehrerin kann ich sagen, dass es für die meisten auf ihrem Weg zu Gesundheit und Wohlbefinden zunächst bereichernder ist, mit Qigong zu beginnen. Mit Qigong können auch Anfänger:innen in kurzer Zeit mit einfachen Übungen, Geschmeidigkeit, tiefe Entspannung und innere Ruhe entwickeln. Im Taiji dauert es länger, weil komplexe Bewegungsabläufe oft die ganze Aufmerksamkeit erfordern.
Nun lade ich dich ein, Qigong selbst zu entdecken, um herauszufinden, wie diese Kunst dein Leben bereichern kann. In meinen Wohlfühlbriefen bekommst du dazu wöchentlich eine Dosis Inspiration sowie praktische Tipps. Außerdem erzähle ich dir auch von meinem Leben mit Qigong beziehungsweise halte dich über meine aktuellen Angebote, seien es Kurse und Seminare in Präsenz oder Online auf dem Laufenden. Möchtest du die Acht Brokatübungen erlernen, dann lies hier weiter und erfahre mehr zu meinem 8-Wochen-Qigong-Online-Programm.
https://www.romanamaichin-puck.at/energie-und-balance-mit-qigong/
Welche Erfahrungen hast du mit Qigong und/oder Taiji Quan gemacht? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten siehst du? Ich freue mich sehr auf einen Kommentar von dir.
Herzlichst
Romana❤️
Liebe Romana,
für mich waren das immer zwei ganz klar unterschiedliche Dinge. Nun wird mir klar, wie sie sich ergänzen und überschneiden. Besonders gut hat mir deine Grafik gefallen.
Danke und liebe Grüße, Birgit
Liebe Birgit, vielen Dank für deine Nachricht und Wertschätzung. Übst du auch Qigong oder Taiji? Herzlichst Romana